Gemeinsam die Gastrovielfalt sichern!
Die Bestimmung, die Restaurants und Cafés einen ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 % auf Speisen gewährt soll zum Jahresende aufgehoben werden. Dies könnte, insbesondere in Zeiten steigender Inflation und hoher Energiepreise, erhebliche Folgen für die Gastronomie, aber auch für Privatpersonen haben. Als Gastro-Unternehmer weiß Kemal Üres, bei seinen Followern auch bekannt als der “Gastroflüsterer”, um die Herausforderungen der Branche, die mit dieser Erhöhung verbunden wären. Im Interview erzählt er uns daher, wieso es ihm und auch anderen so wichtig sein sollte, sich für die Thematik einzusetzen.
Update 17.11.2023:
Leider herrscht jetzt traurige Gewissheit. Wie das Handelsblatt heute berichtet, hat die Ampelkoalition entschieden die Mehrwertsteuer zu Beginn des kommenden Jahres wieder auf 19 % zu erhöhen. Wir möchten dennoch unseren Dank an alle aussprechen, die sich aktiv für die Thematik eingesetzt haben. Selbstverständlich werden wir auch in Zukunft unser Engagement für die Gastrobranche fortsetzen!
Was ist der Hauptgrund, warum du dich so stark dafür einsetzt, dass die Mehrwertsteuer nicht erneut angehoben wird?
Kemal: Eigentlich habe ich die Kampagne gemacht, weil ich zum einen selbst betroffen bin – mit “La Paz” bin ich ja auch selbst Gastronom. Ich hab dieses Jahr 80.000 € mitgebracht für den Laden, der durch Gastroflüsterer viele Touristen anzieht und bei Tripadvisor ganz oben mitspielt. Wegen der hohen Personalkosten, die knapp bei 50 % liegen, musste ich trotzdem 80.000 € mitbringen. Das heißt, wir verdienen jetzt schon nichts und bringen trotzdem 80.000 € mit. Wenn die Steuer angehoben werden würde, müsste ich also statt 80.000 € 130.000 € mitbringen.
Der zweite ist, ich kriege DM’s, bei denen ich schon demütig werde. Da liest man dann sowas, dass die Leute viel arbeiten, aber nichts nach Hause bringen und dadurch der Haussegen schief hängt. Da hab ich mich dann schon gewissermaßen verantwortlich gefühlt – denn mit 700.000 Followern, wovon 40 % Gastronomen sind, hat man ja schon einen Hebel.
Zudem muss ich sagen, dass ich auch schon wusste, dass es funktionieren kann, meine Community einzusetzen. Es war doch das Erdbeben in der Türkei im Februar, da haben wir 1,1 Millionen € gesammelt mit meinem Kanal. Allein eine Firma hat 650.000 € gespendet. Da bin ich dann persönlich zum CEO, um mich zu bedanken. Die anderen, die gespendet haben, waren viele kleine Unternehmen. Da hab ich gesagt, spendet einen Tagesumsatz, auch das hilft schon. Und zu den zehn höchst Bietenden bin ich dann zum Drehen gefahren, um was zurückzugeben. Ich hab also schon mal die Erfahrung gemacht: Hey, ich kann was bewegen, wenn ich die richtigen Leute hinter mir habe. Also haben wir die Kampagne ins Leben gerufen. Das ist jetzt drei Monate her und ich glaube wir konnten auch wieder einiges bewegen.
Wie kam deine große Kampagne zu dem Thema dann zustande?
Kemal: Seit Anfang des Jahres kam das Thema so langsam hoch und ab Mitte des Jahres war es ein Thema, was eine Relevanz hatte. Ich hab eine Speech beim Food Service Forum auf der Internorga gehalten und da hat mich Ingrid Hartges angesprochen und gesagt: “Kemal, ich würde dich gerne buchen für eine Kampagne”. Als ich nachgefragt habe, worum es denn geht, sagte sie um 7 % und da dachte ich mir, das ist ein Thema, auf das mich tatsächlich viele Gastronomen ansprechen.
Dann haben wir sechs Videos gedreht und ich habe gemerkt, das Ding hat eine sehr hohe Relevanz. Als die Kampagne dann vorbei war, habe ich das Thema weiterhin beobachtet und gemerkt: aufgrund der Nachfrage und der Situation brauchen wir eine Kampagne, die nicht nur die Gastronomen und die Politiker anspricht, sondern vor allem die Gäste. Denn die Gastronomen sind so mit sich selbst beschäftigt, dass sie kaum Zeit haben, sich für das Thema einzusetzen. Also habe ich mir gedacht, einer muss es groß machen. Eine Agentur hat dann den plakativen Satz “Rettet die Vielfalt” ausgearbeitet und ich bin auf Sponsorensuche gegangen, was glücklicherweise recht schnell ging. Die Kampagne konnte also starten.
Du bist ja selbst Gastronom. Was genau würde die Mehrwertsteuererhöhung in deinem Fall für deine Gastronomie bedeuten?
Kemal: Also man kann es so sagen: Wenn du 1. Mio € Umsatz im Jahr machst, machst du ca. 60 % mit Essen, also 600.000 €. 600.000 € mal 12 % wären also 80.000 € mehr an Steuern die ich nächstes Jahr mehr zahlen müsste, von dem Geld, was ich eh schon nicht hab. Jetzt würden manche sagen: Moment, die meisten Restaurants würden die Kosten an die Gäste weitergeben. Aber wenn du es weitergibst, kommen weniger Gäste. Das kommt dann am Ende aufs gleiche hinaus.
Wie stehst du zu den teilweise kritischen Kommentaren, dass die Gastronomen sich einfach nur mehr “in die Tasche gesteckt haben”, da sie teilweise trotzdem Preiserhöhungen vorgenommen oder ihre Preise nicht reduziert haben und somit nur die Margen verbessert und nicht die Endkunden entlastet wurden?
Kemal: Wenn man von außen drauf guckt, würde ich das auf jeden Fall auch so sehen. Auch z.B. als Friseur würde ich vermutlich sagen, warum kriegen die Gastronomen jetzt die Mehrwertsteuer-Ermäßigung und wir nicht. Tatsächlich ist es aber so, dass Gastronomen in den letzten drei Jahren die Preise um 20 bis 30 % erhöht haben. Gründe hierfür sind Rohstoffe, Energiekosten und Personalkosten.
Aber das war wirklich nicht ausreichend, wenn du überlegst, wie lang die Zeit ohne Einnahmen war und wie die Preise vor allem bei bei den Fachkräften gestiegen sind. Normalerweise kriegst du jemanden in der Führungsposition für 35.000 € im Restaurant. Jetzt liegen die bei 50.000 bis 55.000 € im Jahr. Wir haben in der Gastronomie im Grunde gar kein Energieproblem oder Rohstoffproblem – die sind in meiner BBA völlig im Rahmen. Aber die Personalkosten, das ist ein Problem! Wenn der Markt keine Leute hat, sagen die Fachkräfte: ich möchte kein Gehalt mehr, ich möchte eine Gage. Aber der Gastronom muss jemanden einstellen, damit er die Türen aufmachen kann. Somit haben die Gastronomen gar keine Luft mehr.
Das ist auch ein Zeichen, dass das Ökosystem nicht stimmt und nie gestimmt hat! Vor Jahren haben wir alles auf dem Rücken der Köche und der Servicekräfte ausgetragen. Die mussten Überstunden machen, die wurden ausgenutzt. Aber nach Corona – Gott sei Dank – sind die Leute aufgewacht und sagen: ich lass das nicht mehr mit mir machen! Das gibt es also nicht mehr. Unsere Branche wird gerade auf einer anderen und besseren Ebene neu geformt. Aber diese Schwelle aktuell ist anstrengend und teuer, sodass der Gastronom durch diese Ermäßigung von 7 % statt 19 % irgendwie noch überleben konnte. Deswegen kann man sagen, dass der Gastronom von der Steuersenkung leider nichts hatte, sondern es hat ihm – und leider nicht mal allen – gerade so zum Überleben geholfen.
Diese Woche soll eine Entscheidung in der Debatte um die 7 % fallen. Wie wahrscheinlich ist es in deinen Augen, dass die Senkung bleibt?
Kemal: Ich glaube, zu 80 % wird die Senkung bleiben, aber nicht unbefristet, sondern sie wird erstmal verlängert. Das wiederum sollte uns dazu bewegen, weiter zu kämpfen! Aber diese ein oder zwei Jahre wären schon mal ein riesengroßer Etappensieg! Die Leute würden aufatmen und es wäre ein tolles soziales Zeichen auch für die Menschen da draußen. Wir haben Konjunktur, die Wirtschaft schwächelt. Und wenn jetzt alles noch teurer wird, verlieren immer mehr Menschen Mut und das Vertrauen in Deutschland.
Und warum meinst du, macht es nicht nur für Gastronomen, sondern auch für Privatpersonen Sinn, sich für dieses Thema einzusetzen?
Kemal: Im Grunde genommen will man ja mit seiner Familie auch essen gehen. Und ich finde essen gehen, sich sozial bewegen zu können und den Kindern zu zeigen, heute gönnen wir mal was, das darf nicht zum Luxusgut werden. Wir haben jetzt schon genug Inflation gehabt, bestimmt 20 %, was für Deutschland schon krass ist, wir kennen das ja gar nicht. Wir wissen ja auch gar nicht, wie man damit umgeht. In der Türkei ist das pillepalle, das interessiert die nicht, weil sie das schon kennen. Aber den Leuten in Deutschland macht das wirklich Angst.
Wenn das jetzt kommen würde und Menschen sagen würden: Hey, ich gehe jetzt nur noch irgendwie zu McDonald’s – wobei das auch nicht mehr so günstig ist – was macht das mit den Menschen? Was macht das mit den Kindern, wenn jemand sagt: Mama, mein Klassenkamerad, der kann aber, die verdienen mehr Geld? Die Mitte bricht weg! Und die Mitte hat Deutschland eigentlich immer ausgemacht. Wir waren stark, man konnte sich noch ein gutes Leben leisten. Und ich finde das sollten wir beibehalten, das macht Deutschland aus und deswegen können wir so stolz auf Deutschland sein.
Also würdest du sagen, dass es auch jetzt noch Sinn macht, sich als Gastronom weiterhin für das Thema einzusetzen?
Kemal: Wir, als Gastronomen, müssen das Ganze auf jeden Fall weiterhin zum Thema machen. Gastronomen bestellen Plakate, du gehst ins Restaurant und siehst die Plakate mit “7 % muss bleiben”. Dann vielleicht auch eine Agenda in der Speisekarte, wo man genau sehen kann was es bedeutet, wenn die Steuer 19 % wäre.
Allein schon wegen der Gleichberechtigung: Wenn du nach Hause essen bestellst, waren es schon immer 7 % Mehrwertsteuer. Wenn du im Restaurant isst mit Porzellan, Ambiente, Service, Schickimicki zahlst du 19 %. Wo ist hier die Logik? Von 27 EU-Ländern sind 23 schon immer bei 7 % Steuer auf Speisen gewesen. Das ist also etwas, wofür der DEHOGA schon seit 20 Jahren kämpft. Das ist also kein Thema, das erst kürzlich aufgekommen ist. Nur aktuell ist es durch die vergangenen 4 Jahre ein extrem akutes Thema. Deswegen werden wir mit unserer Kampagne “Rettet die Vielfalt” weiterhin Vollgas geben und legen auch anderen Gastronomen ans Herz, weiterhin laut zu bleiben.
Was erwartest du von der Politik?
Kemal: Ich habe mal die Aussage getroffen: Liebe Politiker, man kann am Schreibtisch natürlich Entscheidungen treffen. Ich weiß auch, dass ihr viel zu tun habt und wir wirklich eine kleine Gruppierung sind, wenn man bedenkt, was für eine Agenda bei euch auf dem Tisch liegt. Da sind ja tausend Sachen mit dem Krieg aktuell und so weiter.
Aber versetzt euch mal in die Lage eines Gastronomen. Das ist so anstrengend – du stehst morgens auf, du weißt nicht was für ein Umsatz dich erwartet, du gehst einkaufen, du machst die Buchhaltung, du bist jetzt auch schon Marketer und musst Social Media machen. Du hast so viele Themen, das ist so kleinteilig! Dann gehst du in die Firma, ackerst 12 Stunden, kommst nach Hause, dann beschweren die Gäste sich und schreiben eine schlechte Bewertung – es ist wirklich ein hartes Business – und oftmals auch ein undankbares. Und trotzdem lachen die Leute da draußen und geben nicht auf. Das muss doch irgendwie mal mit einem von Zeichen von Entgegenkommen belohnt werden. Und da müssen die sich mal reinfühlen. Was so ein Typ am Tag leistet, um so einen Laden zu führen. Und weißt du was? Ein kleiner Laden macht genauso viel Arbeit wie ein großer – nur als großer kannst du dir einen Manager oder Betriebsleiter leisten. Mit einem kleinen Laden – no way. Aber wenn du Geld mit nach Hause nimmst und deine Familie ernähren kannst, dann denkst du dir: geil das ist meine kleine Existenz – vollkommen okay, damit sind die einverstanden. Aber wenn das auch nicht mehr der Fall ist, dann weiß ich auch nicht. Da müssen die Politiker einfach mal empathisch reingucken und nicht am Schreibtisch sagen: “Machen wir nicht, das sind 3 Milliarden”, sondern einfach mal gegenrechnen, “Was verlieren wir, wenn die alle zu machen”.
Um ein Zeichen zu setzen und der Branche zu helfen, haben wir Mitte des Jahres eine Petition gestartet, die sich für die Beibehaltung des aktuellen Umsatzsteuersatzes von 7 % einsetzt. Wenn du der gleichem Meinung bist wie wir und die Gastronomiebranche unterstützen möchtest, unterschreibe gerne noch die Petition und trage unser Vorhaben weiter. Was du sonst noch tun kannst, erfährst du unter 7mussbleiben.de.